„Regie, das ist ein Adrenalin-Flash!“

09.11.2020

Er hat einen Oscar gewonnen und gehört zu Österreichs wichtigsten Filmregisseuren: Stefan Ruzowitzky im Gespräch über das, was seine Filme ausmacht.

Von Matthias Greuling

Stefan Ruzowitzky
© Katharina Sartena

Herr Ruzowitzky, sie haben 2008 für „Die Fälscher“ den Oscar gewonnen. War das schon ein Bubentraum von Ihnen?

Stefan Ruzowitzky: Ja, ich habe mir das erträumt. Ich wusste schon mit zehn, dass ich Regisseur werden wollte. Ich kenne einige Leute, die nur wegen des Glamourfaktors zum Film gegangen sind, aber das reicht nicht. Denn da gehört mehr dazu: Solche Auszeichnungen wie der Oscar sind nicht nur eine Ehre, sondern können einem vor allem völlig neue Dinge eröffnen. Neue Projekte, Kontakte, Karrieremöglichkeiten.

Wie entwickeln Sie ein Drehbuch? Und wie kann man sich Ihren Arbeitsalltag vorstellen?

Ich muss gestehen, ich bin ein gelernter Syd Field-Jünger. Vor vielen Jahren war das ganz neu und für mich eine Offenbarung, zu sehen, dass Drehbuchschreiben auch etwas Handwerkliches ist. Dass es da Regeln gibt, die man zwar –  wie immer im künstlerischen Bereich – hinterfragen und brechen kann, die aber dennoch zum Anhalten da sind. Je länger man dabei ist, desto mehr entfernt man sich aber von dem allen, weil man seine eigenen Sachen entwickelt. Aber ohne Helden, der irgendetwas ganz fest will, der ein fixes Ziel hat, funktioniert keine Geschichte, finde ich. Denn nur dann kann ich als Zuschauer Emotion investieren, wenn ich mich identifizieren kann, eine emotionale Haltung haben kann. Das nennt Syd Field „dramatic need“ und das bleibt für mich ein Kernelement.

Also all die Theoriebücher verschmähen Sie nicht grundsätzlich?

Nein, ich koche ja auch gerne, aber oft ohne Rezept. Man kauft was auf dem Markt, mit dem man etwas kochen will, das man noch nie gegessen hat, dann schaut man halt im Kochrezept nach, aber macht es nicht genauso, weil die meisten Sachen dafür hast eh’ nie zuhause. Klar, wäre es schicker, zu sagen: Nein, alles geht nach durchdachtem Plan. Aber so ist es eben nicht.

Zuletzt haben Sie Hesses „Narziss und Goldmund“ verfilmt. Was ist für Sie das Besondere an diesem Buch?

In frühester Jugend war es eines meiner Lieblingsbücher, aber diese Hesse-Phase ist auch wieder vergangen. Ich habe es jetzt für mich wiederentdeckt. Man muss dem Herrn Hesse zugute halten, dass dieses Buch sowohl bei Teenagern wirkt, als auch bei erwachsenen, älteren Menschen. „Narziss und Goldmund“ wird von vielen Lesern als eine Art Lebenskompass empfunden.

Erstmals las ich das Buch als 16-jähriger, und beim Wiederlesen fielen mir schon ganz andere Dinge auf. Die homoerotischen Untertöne habe ich als Jugendlicher gar nicht bemerkt. Aber sie sind stark vorhanden. Narziss sagt zu Goldmund: Du träumst von Mädchen, ich träume von Jünglingen. Wenn mir das ein Freund sagt, dann werte ich das als Coming Out. Narziss ist nicht schwul, weil er ein asexueller Mensch ist. Er erlaubt sich keine Sexualität und keine Gefühle. Wenn er es täte, wäre er wahrscheinlich schwul. Und so ist es eine große schwärmerische, romantische, idealisierende Liebe. Das wird aus der Erzählung heraus schon sehr deutlich.

Brüten Sie eigentlich lange über einem Stoff, bis Sie ihn schreiben oder kommen Ideen gleich zu Papier?

Wenn es läuft, dann läuft es. Das Schwierige und Quälende beim Drehbuchschreiben ist das Überarbeiten. Erste Fassungen hab ich oft ganz schnell geschrieben. Aber beim Überarbeiten, wenn dann die Änderung eines Details viele Konsequenzen nach sich zieht, dann wird’s wirklich mühsam.

Beraten Sie sich dann auch mit Freunden oder Bekannten?

Das klingt jetzt arrogant, aber nein, denn das bringt wenig. Eher ist es so, dass es dir vielleicht hilft, wenn du die Probleme laut verbalisierst. Aber im Endeffekt kann dir dabei keiner helfen. Im Gegenteil, ich finde, es gibt dazu schon zu viele Beratungsinstitutionen; diese ganzen Dramaturgen und Lektoren, die Redakteure, das ist zu viel Einmischung. Weil sie von Produzenten viel zu ernst genommen werden.

Stefan Ruzowitzky
© Katharina Sartena

Was, wenn Sie nur noch entweder Regisseur oder Drehbuchautor sein dürften?

Dann Regisseur! Schon alleine wegen der Lebensqualität. Regieführen, das ist einfach so ein Adrenalin-Flash, es ist lustig und kommunikativ und aufregend und eine emotionale Achterbahnfahrt. Das alles würde mir beim Schreiben abgehen.

Wissen Sie, wie die Leute Sie als Regisseur beschreiben?

Da kann ich nur Mutmaßungen anstellen (lacht), aber ich glaube, ich bin ein im Prinzip netter Regisseur. Also im Sinne von: Ich schreie nie am Set herum – im Gegensatz zu genügend anderen Kollegen. Ich versuche, mich als Person nicht zu wichtig zu nehmen. Das Problem ist: Als Regisseur stehst du so im Zentrum und die Zeit, die du hast, ist sehr kostbar, um nicht zu sagen: kostspielig. Und deswegen macht es zum Beispiel Sinn, dass du einen persönlichen Assistenten hast, der rennt und dir Tee bringt, wenn dir danach ist. Aber du musst dir bewusst bleiben, dass du dieses Privileg in deiner Funktion als Regisseur hast – und nicht, weil ich als Mensch so toll bin. Wenn ich nicht mehr am Set bin, mache ich mir den Tee selber. Manche Leute tun sich am Anfang – und oft später noch – schwer, damit umzugehen.

Sie unterscheiden sich von anderen österreichischen Regisseuren unter anderem auch darin, dass sie zum einen sehr viel zusätzlich in der Werbung arbeiten und zum anderen das mediale Rampenlicht wohl nicht gerade suchen, aber definitiv auch nicht scheuen. Wie sehen Sie das?

Das Rampenlicht war vor allem eine Folge des Oscars, und es ist auch lustig. Natürlich schmeichelt es der Eitelkeit. Ich habe das Gefühl, dass ich eh’ die ganze Zeit absage, es bleibt aber trotzdem genug über. Öffentliche Veranstaltungen mache ich in Wirklichkeit kaum, aber wenn ich wo bin, dann bin ich halt in den Seitenblicken. Da wird dann jede Filmpremiere gleich zum Statement, weshalb ich oft nicht mehr hingehe.

Sie haben Theaterwissenschaften und Geschichte studiert – wie haben Sie sich Regie und Drehbuchschreiben selbst beigebracht?

Das Schreiben durch Bücher und die Regie vor allem durch die Arbeit beim ORF, wo wir damals das Magazin X-Large machten. Da wurde man zum zivilisierten Arbeiter erzogen, man musste ein Team an einem 8-Stunden-Tag einteilen, sich besprechen, im Voraus planen, die Ideen argumentieren. Das war extrem hilfreich. Vor allem das Argumentieren ist essentiell. Du kannst dich nicht hinstellen und sagen: „Ich bin der Künstler und was ich mache, ist nicht zu hinterfragen“. Je grösser die Projekte sind, desto mehr musst du jede Entscheidung argumentieren können – ohne dann beleidigt zu sein, wenn dich jemand kritisiert, oder Angst zu haben, es will dir jemand etwas wegnehmen. Zu wissen, man weiß nicht alles besser, ist sehr wichtig“.

Beim Fernsehen ist es außerdem eine gute Schule, für ein relativ genau definiertes Publikum zu produzieren – wo du dann am nächsten Tag sehen kannst, wie viele Zuseher bei deinem Beitrag weggeschalten haben. So lernt man ein Gefühl für Publikum, was auch immer man daraus macht. Bei Filmschulen habe ich oft den Eindruck, dass sie vielleicht nicht direkt am Publikum vorbei, aber schon relativ gleichgültig dem Publikum gegenüber arbeiten. Du kannst nur gut sein, wenn du Geschichten erzählst, die aus deinem Innersten kommen – aber gute Filme sind immer Filme über Themen, die auch andere Leute interessieren. Glück hat der Regisseur, bei dem sich beides deckt; man muss hier die ideale Schnittmenge finden.

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