Klaus Maria Brandauer: „Ich fühl mich überhaupt nicht alt“

23.11.2020

Der große österreichische Schauspieler im Interview über seine Filme und seine Karriere – auf der Bühne als „Jedermann“ bis hin zu seiner Rolle als Gegenspieler von James Bond

Klaus Maria Brandauer
© Katharina Sartena

Herr Brandauer, hinter Ihnen liegt eine lange Karriere am Theater und im Film. Ihr filmischer Schlüsselmoment war 1981 die Mitwirkung in Istvan Szabos „Mephisto“. Welche Erinnerungen haben Sie daran?

Brandauer: Ich war von Anfang an mehr auf das Theater vorbereitet, das ist das, was ich immer wollte. Ich hatte aber schon früh Kontakte zum Film, das war in Düsseldorf, Wien und Berlin, aber das Theater füllte mich damals so aus, dass ich gar nicht daran dachte, Filme zu drehen. Als Istvan Szabo mich anrief, um mir „Mephisto“ anzubieten, wusste ich sofort, dass ich das machen wollte. „Mephisto“ war zunächst als Fernsehproduktion geplant.

Die Dreharbeiten waren toll, denn das Team war perfekt und Szabo war ein unglaublicher Regisseur und ein großartiger Mensch. Ein Moralist noch dazu, das ist sehr positiv gewesen. Es bleibt selbst bei einem perfekt vorbereiteten Dreh immer ein Rest an Unsicherheit. Man kann sich nie ganz sicher sein, selbst bei der exaktesten Vorbereitung trifft der Zufall sehr viele Entscheidungen. Wie zum Beispiel jene, dass der Film nicht im TV-Programm landete, sondern eine Einladung zum Festival in Cannes erhielt. „Mephisto“ war ein Schatz, ein fantastisches Fressen für einen Schauspieler. Ich spiele einen Schauspieler, der alles zeigen darf, was in ihm steckt.

Zuerst lernst du einmal etwas

Der vorläufige Höhepunkt in einer Karriere, die schon sehr früh begann…

Ich konnte mir nie etwas anderes vorstellen, als Schauspieler zu werden, seit ich meinen Struwwelpeter in der Volksschule in Grenzach bei Basel gemacht habe. Ich erinnere mich, dass ich meiner Mutti in meinem Übermut mit ungefähr zehn Jahren verkündete: „Mutti, ich werde einmal in Amerika auf großen Filmplakaten zu sehen sein“. „Ja“, hat die Mutti gesagt. Und mein Vater meinte: „Zuerst lernst du einmal etwas“.

Hatten Sie Ihre Eltern stets gefördert, wenn es Ihren Beruf anging?

Meine Mutter ja. Mein Vater hingegen meinte, dass es keine gemähte Wiese ist, künstlerisch tätig zu sein. Aus Sorge hat er mich gebremst. Als ich Schauspielen studieren wollte, ließ er mich gewähren, aber nur unter der Bedingung, dass ich in seiner Nähe blieb, damit ich Freitag bis Sonntag zuhause sein konnte. „Und dann werde ich jedes Mal versuchen, es Dir auszureden“, sagte meine Vater oft. Er hätte mich gern Jus studieren sehen. Er hat das Ausreden sehr liebevoll gemacht, war respektvoll, aber er konnte es nicht verhindern.

Als mein Vater dann viele Jahre später gestorben ist, habe ich in seinem Schreibtisch große Stapel von Zeitungsausschnitten und Kritiken gefunden, die über mich erschienen sind. Er hat sich wohl gefreut. Aber ich verstehe natürlich seine Sorge. Wenn meine Eltern heute noch leben würden, würden sie sich gerade in diesem Moment sorgen und denken: Hoffentlich macht er ein g’scheites Interview.

Zufall, Schicksal oder Vorsehung

Ihr Schauspielstudium dauerte nur kurz…

Ja, in der Tat. Meine Freundin Karin rief mich eines Tages an, da stand ich kurz vor meinem 19. Geburtstag, und sagte: „Wir bekommen ein Kind“. Und so habe ich am 6. Juni 1963 einen Vertrag mit dem Landestheater Württemberg-Hohenzollern unterschrieben, das war genau der Tag, an dem mein Sohn Christian geboren wurde.

Das kann kein Zufall sein.

Zufall, Schicksal oder Vorsehung – das Faktum ist dasselbe, es kommt nur darauf an, von welcher Seite man es sieht.

Welche Erinnerungen haben Sie an ihre spätere Frau Karin Brandauer, die 1992 verstarb?

Es ist eine sehr glückliche Erinnerung. Ich wusste früh, dass ich Karin heiraten wollte, und ich bin sehr glücklich, dass ich diese Liebe hatte. Es war bestürzend, als sie gehen musste.

Sprechen wir über Altaussee. Sie sind Ihrer Heimat immer treu geblieben, auch, wenn es Sie weit hinaus in die Welt getrieben hat.

Ich bin dort geboren und aufgewachsen. Ich hatte dort immer eine glückliche Zeit, habe dort meine erste Frau gefunden, spreche mit den Bergen und mit den Bäumen. Es erfreut mich. Ich bin dennoch begeistert, dass ich auch für längere Zeit in Rio war, in New York oder auch in Los Angeles. Manchmal ist der Sonnenaufgang über der Westseite des Central Parks schöner als der über der Trisselwand in Altaussee. Ich bin froh, dass ich beides kenne. Für mich war die Welt schon immer ein kleiner Ort. Schon als Kind erklärte mir mein Vater ständig die Sterne und die Galaxien, er hat mir den Atlas erklärt, und da wurde mir klar, wie klein der Platz ist, an dem wir leben.

Vier ‚alte Herren‘

Mit Szabo haben Sie noch zwei Filme gedreht, „Hanussen“ und „Oberst Redl“.

Nach dem Erfolg von „Mephisto“ war uns klar, dass wir wieder zusammenarbeiten wollten. „Oberst Redl“ ist für mein Gefühl mein wichtigster Film, den ich gemacht habe. Die drei Filme mit Szabo deckten 100 Jahre mitteleuropäische Geschichte ab, und ich bin sehr stolz, dass wir das gemacht haben. Aber das ist ja nicht der Abschluss gewesen. Vor einem Jahr haben wir uns wieder zusammengetan und den Film „Zárójelentés“ gedreht, der Ende Februar 2020 in Ungarn Premiere feierte.

Was hat sich über die Jahre an der Zusammenarbeit verändert?

Das kann ich sehr genau sagen: Es gibt ein Foto, in dem Istvan Szabo mit mir und den beiden Produzenten von hinten zu sehen ist: Vier alte Herren gehen da! Wir mussten über dieses Bild sehr lachen. Der Produzent sagte uns, dass es gar nicht leicht gewesen war, uns in diesem Alter für seine Filmproduktion zu versichern.

Welche Einstellung haben Sie zum Alter?

Ich empfinde mich überhaupt nicht als alt, diese Unverschämtheit möchte ich schon noch mitteilen. Im Gegenteil: Ich glaube, es ist mir noch nie so gut gegangen wie jetzt, obgleich ich denke, dass ich etwas verloren habe: eine gewisse Unbekümmertheit gegenüber dem Leben. Ich sehe, dass man nicht genug aufpassen kann, dass dort, wo man lebt, arbeitet, denkt und fühlt, die Demokratie erhalten bleibt. Die Demokratie ist kein Geschenk, man muss ständig – ich würde sagen: sekündlich – darum bemüht sein, sie zu bewahren, sie wiederherzustellen, wo sie verloren gegangen ist. Immer wieder höre ich, wie Menschen sagen, dass die Demokratie nicht die idealste Form des Zusammenlebens ist. Wenn ich das höre, bin ich fassungslos. Wo ich Einfluss habe, wo ich öffentlich auftrete – und dazu gehört auch das Theater – soll man hören, dass ich nicht dieser Meinung bin.

Der Rechtsstaat muss geschützt werden, er darf nicht aufs Spiel gesetzt werden. So manche Politiker gehen damit sehr schludrig um, das muss bekämpft werden. Wo jeder einzelne etwas bewegen kann, da sollte man für die Demokratie kämpfen. Dass es auf der Welt manchmal so zugeht, als wäre gerade ein Faschingsgschnas, ist eine andere Geschichte. Man kann ja oft nicht glauben, was man so hört. Daher: Aufpassen auf die Demokratie und auf unsere Werte.  Und aufpassen auf die Gewählten. Denn die sind verpflichtet, das zu tun, was ihnen die Wähler aufgetragen haben. Wenn sie das nicht tun, muss man den Mund aufmachen.

Oscars, Globes und Hollywood

Ihre Filmkarriere brachte Sie bis nach Hollywood, wo sie den einzigen inoffiziellen James-Bond-Film „Sag niemals nie“ (1983) drehten, und wo Sie einen Golden Globe und eine Oscarnominierung für „Jenseits von Afrika“ (1987) erhielten. Wie fühlte sich das an?

Es ist immer eine sehr ernsthafte Arbeit, die dahinter steckt. Ein guter Film ist hier gut und in Hollywood auch. Ein schlechter ebenso. Man kann einen fantastischen Film machen um wenig Geld und man kann einen sehr schlechten Film machen um Millionen. Bei „Jenseits von Afrika“ wurden keine Kosten gescheut, das war ein opulenter Dreh! Die Besetzung war ungemein prominent, mit Meryl Streep und Robert Redford.

Den James-Bond-Film wollte ich zunächst gar nicht machen, weil mich das Angebot geärgert hat: Was sollte ich mit so einer Operette, ich hatte mit „Mephisto“ doch einen tollen Film mitgebracht, und dann das? Heute bin ich froh, den Film gemacht zu haben. Er ist heute Kult, und war es damals schon und hat seinen Platz. Vor allem auch, weil diese Filme auch Teile des Kalten Krieges waren, wo man den Leuten zeigte, wer der Feind war. Und wer durfte die Feinde spielen? Wir Europäer natürlich. (lacht)

Sie haben zwei Mal selbst Regie geführt: Bei „Georg Elser – Einer aus Deutschland“ (1989) und „Mario und der Zauberer“ (1994). Wie kam es dazu?

John Frankenheimer sollte den Elser-Film inszenieren, mit mir in der Hauptrolle. Doch dann zerstritt sich der Produzent mit Frankenheimer und ich bekam den Regiesessel angeboten. Meine Frau Karin, die damals wunderbare Filme gedreht hatte, habe ich mir zum Vorbild genommen, und versucht, von ihr so viel wie möglich über das Regiefach zu lernen.

Ich war kein Regisseur, der durch Brennweitenangaben inszenierte. Ich hatte mit Kameramann Lajos Koltay ausgemacht, einen Film zu drehen, der, solange man etwas in Bildern ausdrücken kann, nicht spricht. Und das haben wir dann auch umgesetzt. Im ganzen „Georg Elser“ gibt es keine 200 Sätze. Der Film hatte leider nicht die Chance, in den USA gezeigt zu werden, weil die Produktionsfirma bankrott machte und alles in die Masse wanderte. Bis heute ist dieser Film in den USA nicht gezeigt worden.

„Jedermanns Fest“ (2002) wurde zu einem, großen Skandal, als man ihn als besten Film bei der Diagonale auszeichnete.

Der Dreh dauerte zu lange, es gab viele Unterbrechungen und unschöne Dinge. Fritz Lehner war leider beratungsresistent, denn sein Drehbuch war ausgezeichnet. Die Chancen waren richtig gut, dass daraus was Großes werden würde. Gernot Roll, ein Weltkameramann! Alle Voraussetzungen schienen zu stimmen, aber es hat nicht funktioniert. Ich habe allerdings ein paar Freunde, die „Jedermanns Fest“ als Kultfilm verehren.

Es war naheliegend, dass Sie diese Rolle gespielt haben, da sie selbst jahrelang den Jedermann in Salzburg gespielt hatten. Mit Ihnen hat der Kult um diese Rolle eigentlich so richtig begonnen. Wer den Jedermann gespielt hat, war in dem Moment der allerwichtigste Schauspieler.

Das war nicht von Beginn an so, obwohl Alexander Moissi, der mit der Rolle begonnen hatte, das schon auch zelebriert hatte. Es wurde schnell zu einer Rolle, die wie eine Auszeichnung für die gemachte Karriere wirkte. Ich habe den Jedermann sehr gerne gespielt, und mein Ehrgeiz war, auf dem Domplatz so ruhig zu sprechen, wie wir zwei jetzt. Ich habe sieben Jahre den Jedermann gespielt. Sieben ist eine heilige Zahl, das hat gereicht.

Ist es eigentlich ein Unterschied, wenn man als Schauspieler die Kollegen anleitet, als wenn das ein Regisseur macht, der keine Erfahrung hat mit dem Spielen?

Am Theater habe ich eigentlich von Beginn an Regie geführt, das war schon in meinem zweiten Jahr am Salzburger Landestheater der Fall. Ich bin ein Stückespieler. Ich lese ein Stück, und wenn ich eine Figur lese und mir vorstelle, wie diese Figur zu sein hat, dann bin ich mit dieser Imagination ohnehin schon ein Regisseur, der die Figur formt. Ich war also eine Art „Mit-Regisseur“. Das kam bei einigen Kollegen und Regisseuren nicht gut an, weil sie meinten, ich würde ihnen dann ins Handwerk pfuschen. Ich habe auch bei Produktionen meine Mitwirkung aufgegeben, wenn ich bei den Proben und Lesungen festgestellt habe, dass unsere Vorstellungen nicht zueinander passten. Ich musste es ja nicht spielen.

Was den Film anbelangt, wusste ich eines: Ich werde nie angeben mit Brennweiten oder dass ich total studiert bin. Stattdessen habe ich darum gekämpft, an allen wichtigen Positionen Leute zu haben, die das technisch und künstlerisch umsetzen konnten. Man kann Theater und Film nicht in einen Topf werfen. Die Bühne ist ein mythisch-mystischer Raum, in dem man als Schauspieler wie als Zuschauer lebendig anwesend ist. Und diese Reise – bei allen genauen Vorbereitungen – ist immer wieder neu, und kein Abend ist wie der andere. Das ist das Aufregende. Das habe ich auch versucht, auf den Film zu übertragen, unter Szabos Anleitung. Er sagte: Die meisten Takes, die im Film gelandet sind, waren Uraufführungen. Meistens hatte er bereits den ersten Take verwendet, weil man es darin halt am meisten lebt, was man spielt. Etwas drei, vier, fünf Mal zu machen, muss auch sein, aber ich bin an der permanenten Uraufführung in einem Film sehr interessiert. Da stimmt alles zueinander.

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