Exzentrikerin des Kinos: Tilda Swinton wird 60!

02.11.2020

Tilda Swinton feiert am 5. November ihren 60. Geburtstag. Die britische Avantgarde-Schauspielerin ist vor allem für ihre vielseitigen Rollen in Arthouse- und Mainstream-Filmen bekannt. Mehr als 15 Jahre war sie die Gallionsfigur der englischen Avantgarde und Muse des britischen Regisseurs Derek Jarman, bis sie vom Mainstream entdeckt wurde. Mit ihren exzentrischen und anspruchsvollen Rollen sowie ihrer unglaublichen Wandlungsfähigkeit wurde sie berühmt.

Tilda Swinton in A Bigger Splash
© 2015 FRENESY FILM COMPANY. ALL RIGHTS RESERVED.

Prinzessin Diana war ihre Schulkameradin

Tilda Swinton entstammt einem uralten schottischen Adelsgeschlecht, dessen Wurzeln sich bis ins 9. Jahrhundert zurückverfolgen lassen. Ihr Vater John war Generalmajor der „Scots Guards“, eines der fünf Leibregimenter von Königin Elisabeth II. Swinton kannte auch Lady Diana Spencer, denn beide besuchten zur selben Zeit das prestigeträchtige Privatinternat in Sevenoaks (England).

Im Anschluss an ihre Internatszeit studierte sie bis 1983 Soziologie und Englische Literatur an der renommierten Universität Cambridge. Während ihrer Studienzeit versuchte sie sich als Schriftstellerin und war auch Mitredakteurin des Literaturmagazins Zembla. Außerdem verbrachte sie einige Zeit in einem Township in Südafrika, wo sie ehrenamtlich in einem Hilfsprojekt arbeitete. Dort entdeckte sie schließlich ihre Leidenschaft für das Theater.

Erste Schlagzeilen mit Männer Rollen

Bevor Tilda Swinton Mitte der 1980er Jahre ins Filmfach wechselte, arbeitete sie mit der renommierten Royal Shakespeare Company und dem Traverse Theatre in Edinburgh zusammen.  Dabei fiel sie schon früh dadurch auf, dass sie auch männliche Rollen spielte und mit ihrer androgynen Schönheit für Schlagzeilen sorgte. Aufgrund ihrer Körpergröße von 1,80 übernahm sie später auf zahlreichen weiteren Bühnen Rollen, die sonst Männern vorbehalten waren. So feierte sie beispielsweise einen Bühnenerfolg als Mozart in Alexander Pushkins Theaterstück „Mozart und Salieri“.

Tilda Swinton wollte zum Film – aber nicht als Schauspielerin!

1986 entdeckte Regisseur Derek Jarman Swinton für seinen Film Caravaggio. Dabei wollte sie zwar zum Film, aber nie vor die Kamera: „Derek Jarman sah mich und platzierte mich vor die Kamera, und so ging es weiter. Ich sehe nun wirklich nicht aus wie die Menschen, die üblicherweise beim Film sind. Aber viele Regisseure haben denselben Blick wie Maler. Und ich erinnere sie an Menschen auf Gemälden. Bei meiner Karriere spielt also nicht nur mein Aussehen eine große Rolle, sondern auch die Art, wie Menschen darauf ansprachen.“

Tilda Swinton in Michael Clayton
© Constantin Film Verleih GmbH

Nach Caravaggio wurde Swinton vor allem für experimentelle Filme fernab des Mainstream-Kinos verpflichtet. Sie arbeitet u.a. mit Christoph Schlingensief und Derek Jarman zusammen, der sie bis zu seinem Tod 1994 für alle seine weiteren Spielfilme verpflichtete.

Ein interessantes Werk war etwa der Dokumentarkurzfilm Cycling the Frame, der 1988 unter der Regie der Berliner Filmemacherin Cynthia Beatt entstand. Darin fährt Swinton kurz vor dem Fall der Mauer entlang der Westseite der Berliner Mauer Fahrrad.

1991 gewann Swinton für ihre Rolle in dem postmodernen Film Edward II. den Volpi-Cup-Preis als beste Schauspielerin. Der internationale Durchbruch gelang ihr schließlich 1992 mit der Virginia-Woolf-Adaption Orlando unter der Regie von Sally Potter. In dem Film spielt Tilda Swinton einen Adeligen, der 400 Jahre lebt und sich während dieser Zeit von einem Mann zu einer Frau verwandelt. Weitere Erfolge waren Female Perversions (1996), The War Zone (1999) und Leidenschaftliche Berechnung (1999).

Von der Arthouse-Schauspielerin zur Charakterdarstellerin

Während der 90er Jahre wandelte sich Tilda Swinton von der Arthouse-Schauspielerin zur Charakterdarstellerin, die auch an Hollywood-Produktionen Gefallen fand. Mit dem Aussteigerdrama The Beach (2000), in dem Leonardo DiCaprio die Hauptrolle spielt, wurde sie einem größeren internationalen Publikum bekannt.

Tilda Swinton in Hail Cesar
© 2016 Universal Studios. All Rights Reserved.

In den folgenden Jahren nahm ihre Hollywood-Karriere zunehmend an Fahrt auf. 2003 spielte sie in The Statement eine kompromisslose Richterin, die Jagd auf einen ehemaligen französischen Nazi macht. Im Mystery-Thriller Constantine nach dem DC Comic steht sie 2005 als Erzengel Gabriel mit Keanu Reeves vor der Kamera, und noch im selben Jahr wird sie für Die Chroniken von Narnia: Der König von Narnia als die weiße Hexe gecastet.

Daneben drehte Swinton aber auch immer wieder Independent-Filme wie Thumbsucker (2006), in dem sie die Mutter eines daumenlutschenden Teenagers spielt, oder Julia (2008), in der sie als heruntergekommene Alkoholikerin eine beeindruckende One-Women-Show abliefert. 

Im Februar 2008 erreichte Tilda Swinton den bisherigen Höhepunkt ihrer Karriere: Für ihre Darstellung der Karen Crowder in Michael Clayton (2008) an der Seite von George Clooney erhielt sie den Oscar als beste Nebendarstellerin.

Weitere Highlights: Von Snowpiercer bis Avengers

2011 spielte Tilda Swinton in dem vielfach preisgekrönten Psychothriller We need to talk about Kevin (2011) eine Mutter, deren Sohn an seiner Schule ein Massaker begeht. Daraufhin engagierte Wes Anderson sie für die Rolle der überambitionierten Sozialarbeiterin in der skurrilen Familienkomödie Moonrise Kingdom (2012).

Im Jahr darauf spielt Swinton in Jim Jarmuschs Vampirfilm Only Lovers Left Alive (2013) die schöne Vampirin Eve, die von Blutkonserven lebt und die Degeneration der Menschheit betrauert. Gleich im Anschluss folgte der Sci-Fi-Actionfilm Snowpiercer (2013) von Regisseur Bong Joon-Ho, in dem sie die Befehlshaberin in einem postapokalyptischen Zug spielt – und kaum wiederzuerkennen ist.

Tilda Swinton in Snowpiercer
© 2014 by MFA+ Film Distribution

Ein sehr erfolgreiches Jahr für Tilda Swinton war auch 2016: Sie beeindruckte als Rockmusikerin im Erotik-Thriller A Bigger Splash und als aufdringliche Klatschreporterin in der Coen-Brüder-Komödie Hail, Caesar!. Im Marvel-Universum verkörperte sie umstrittenerweise in Doctor Strange (2016) und später 2019 in Avengers: Endgame die Rolle „Ancient One“.

Ebenfalls 2016 wurde auf der 66. Berlinale ihr dokumentarischer Essayfilm The Seasons in Quincy: Four Portraits of John Berger gezeigt, für den sie als Hauptdarstellerin, Regisseurin und Drehbuchautorin verantwortlich zeichnete.

Jim Jarmuschs Horrorkomödie The Dead Don´t Die (2019) und das Filmdrama David Copperfield – Einmal Reichtum und zurück (2019) sind die bislang letzten Filme, in denen Swinton zu sehen ist. Wes Andersons Komödie The French Dispatch hätte im Oktober 2020 in die Kinos kommen sollen, wurde aber auf ein unbestimmtes Datum im nächsten Jahr verschoben.

Warum Swinton keine Mascara trägt

Viele von euch werden sich wahrscheinlich schon gefragt haben, warum Swinton so gar nicht dem Bild des typischen Filmstars entspricht. In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung lüftete sie das Geheimnis, warum sie nie Mascara und Eyeliner trägt:  

„Die Erkenntnis kam mir 2004, als wir den ersten Narnia-Film drehten. Wie Sie vielleicht wissen, spiele ich in den Narnia-Chroniken die Weiße Hexe. Wir berieten damals also erstmals über meinen Look, und man zeigte mir frühe Entwürfe der Studios. Sie zeigten eine böse Hexe mit schwarzem Haar, roten Lippen, schwarzem Eyeliner und roten Nägeln. Ich sagte: Ha, interessant, wir sprechen über die Rolle der Weißen Hexe, Ihr habt mich gecastet, und ich bin sehr hellhäutig. Mein Vorschlag wäre also: Wir machen sie weiß, weiß, weiß und weiß! Die Antwort vom Studio-Komitee war: Nein, das geht nicht, die Hexe muss schön sein. In Ordnung, sagte ich, soll das heißen, dass es einer Frau unmöglich ist, ohne rote Lippen und schwarzem Eyeliner schön zu sein? Ja, hieß es, unmöglich. Ich habe mich durchgesetzt. Und damals hat sich mir die Wichtigkeit dieser Geste eingeprägt: Nie, nie Mascara tragen.“

Tilda Swinton in The Statement
© 2005 Universum Film GmbH

Tilda Swinton ist bewusst, dass sie mit Mascara & Co. für ein noch breiteres Publikum vermittelbar wäre. Ihre Entscheidung, die Mascara sein zu lassen, habe sie jedoch in der Branche selbstbestimmt werden lassen.

Die Meisterin der Verwandlungskunst

Swinton ist wie Verwandlungskönig Christian Bale dafür bekannt, dass sie extrem wandlungsfähig ist und auch keine Mühen für ihre Rollen scheut. Ein besonders beeindruckendes Beispiel ist ihre Mehrfachbesetzung im „Suspiria“-Remake (2018). Sie spielte darin nicht nur die Tanzlehrerin Madame Blanc und Mutter Helena Markos, sondern auch den greisen Dr. Josef Klemperer.

Für die täuschend echte Maske des 80-jährigen Psychoanalytikers verbrachte sie zwar täglich bis zu vier Stunden in der Maske, laut einem Interview mit der Goldenen Kamera war es die Mühe aber offenbar wert:

„Oh, das ist mein Traum als Schauspielerin! Ich versuche, in meinen Filmen so entfernt wie möglich von meiner eigenen Persönlichkeit zu sein. Und als Lutz Ebersdorf kann ich eine Erfahrung wiedererleben, die ich vor über 30 Jahren hatte: Das Drehen meines ersten Films. Für Lutz ist Suspiria sein Schauspieldebüt.“

Noch ein witziges Detail am Rande: Die Zuschauer wurden komplett in die Irre geführt, denn in den Filmcredits fand sich als Schauspieler für die Rolle des Dr. Klemperer der Name Lutz Ebersdorf. Erst mehrere Wochen nach Filmstart lüftete Swinton das Geheimnis, dass sie selbst hinter der Maske des alten Mannes steckt.

Die private Tilda Swinton

Swinton lebte lange mit ihrem langjährigen Ehemann, dem Schriftsteller und Künstler John Byrne, in Schottland. Das Paar hat Zwillinge, Sohn Xavier und Tochter Honor. Nachdem Swinton 2004 den deutschen Künstler Sandro Kropp bei den Dreharbeiten von Die Chroniken von Narnia kennenlernte, führte sie für einige Jahre eine offene Beziehung. Inzwischen lebt sie mit Kropp zusammen, während John Bryne mit seiner neuen Partnerin nach Edinburgh gezogen ist.

Herzlichen Glückwunsch zum 60. Geburtstag, Tilda Swinton! 

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