„Man muss aus der Beliebigkeit herausfinden“

10.08.2020

Wim Wenders wird am 14. August 75 Jahre alt. Der deutsche Ausnahmeregisseur blickt im Gespräch auf seine ereignisreiche Karriere zurück.

Interview: Matthias Greuling

© Katharina Sartena

Wim Wenders wird 75. Mit „Paris, Texas“ (1984) gewann er die Goldene Palme von Cannes, er war 3-fach oscarnominert und kann auf eine Fülle von legendär gewordenen Filmen zurückblicken, darunter Meisterwerke wie „Der Himmel über Berlin“ (1987), „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“ (1972), „Alice in den Städten“ (1974), „Buena Vista Social Club“ (1999), „Pina“ (2011) oder „Das Salz der Erde“ (2015). Wir trafen Wenders zum ausführlichen Gespräch.

Herr Wenders, neben ihrer Karriere als Regisseur haben sie immer auch viel fotografiert. Es ist ihre zweite Leidenschaft. Viele Ihrer Fotos sehen aus wie die Standbilder aus Ihren Filmen.

Wim Wenders: Das kann ja kein Zufall sein (lacht). Aber das merkt man alles erst hinterher. Als ich diese Fotos machte, war nie der Gedanke da, sie jemals zu zeigen. Mich hat immer der Akt des Fotografierens mehr interessiert als das eigentliche Bild. Das hat meine Empfindungen geschärft, und dieser Akt, ein Bild zu machen, ist ein anderes Gefühl, als wenn man eine Landschaft beispielsweise nur gesehen hätte, aber nicht fotografiert. Dass manche der Bilder so aussehen wie aus einem Film von Wim Wenders, hat den Ursprung darin, dass ich sowohl beim Filmen als auch beim Fotografieren vieles der Malerei verdanke und dass sie der Nährboden für beides gewesen ist. Das meiste habe ich von den großen Malern gelernt.

Worin begründet sich ihre Faszination fürs Fotografieren und Filmen?

Ich hatte schon mit sechs Jahren meine erste Kamera bekommen, und seit damals lerne ich von den Bildern, die man sieht, von Malern, von Zeitungen, Zeitschriften, und vom Kino, das ich erst viel später entdeckt habe. Wie dann diese Erfahrungen letztlich in die Hände kommen, die das Bild dann machen, ist schwer zu sagen. Am Ergebnis sieht man: Was außerhalb des Bilderrahmens ist, wird vergessen sein, was im Bild zu sehen ist, wird ästhetisch überhöht. Zugleich ist es das Wesentliche, was man vor Ort gesehen hat. Beides ist aber nicht trennbar.

Wie kann man als Filmemacher in der Bilderflut der heutigen Zeit noch Bilder machen, die eine Nachhaltigkeit, eine Haltbarkeit haben?

Darüber denke ich heute mehr nach als früher. Kann man der Flut etwas entgegensetzen? Das Schlimme an der Flut ist die Beliebigkeit, die in ihr steckt. Wenn man ihr also etwas entgegensetzen will, dann muss man Bilder mit einer gehörigen Portion Zuneigung, Liebe und Sorgfalt machen. Nur, wenn ich selbst etwas investiert habe, kann das Resultat für andere einen Wert darstellen. Eine andere Chance hat man in dieser Bilderflut heute nicht.

© Katharina Sartena

Kürzlich meinten Sie: „Ich stelle mir die Frage, für wie viel Filme mir noch Zeit bleibt.“ Inwieweit beeinflusst diese Frage Ihre Stoffwahl?

Heute braucht ein Film ungefähr drei Jahre, obwohl das eigentlich absurd ist, denn die digitale Technik erlaubt ein viel schnelleres Vorgehen. Meine erste Doku „Lightning over Water“, die ich 1980 mit dem todkranken Nicholas Ray umsetzte, brauchte kein Jahr, um fertig zu werden. Und heute? An „Pina“ saß ich drei Jahre, an „Salz der Erde“ auch. Es braucht heute mehr Zeit, um aus der Beliebigkeit herauszufinden. Die Zeit ist ein solch wichtiges Element geworden, das einfließen muss, um aus einem Film etwas Eigenständiges zu machen. Wenn also jeder Film drei Jahre braucht, kann ich mir leicht ausrechnen, wie viele es noch sein können: Von null bis fünf, sechs ist alles möglich. Früher war die Zahl der Filme, die man in sich trug, unendlich groß, zumindest subjektiv. Und jetzt muss man sich vor allem überlegen, welche Filme man nicht macht.

Das Auffällige an Ihrer Filmografie ist, dass Ihre Filme meist mit dem Reisen verknüpft waren. Daheim einen Film im Garten zu drehen, das wäre undenkbar für Sie. Sie gehen dann lieber in den Garten in ein anderes Land und adaptieren dann dort den Handke, so wie in „Die schönen Tage von Aranjuez“.

Die Fremde ist ein eine Grundbedingung für meine Arbeit. Das Nicht-Vertrautsein. Da, wo man vertraut ist, ist vielleicht nicht genug Neugier da und alles schon in geregelten Bahnen. In der Fremde ist zumindest halbwegs gesichert, dass man von vorne anfangen muss. Und etwas entdecken kann. Zuhause finde ich das nicht. Zuhause mache ich auch keine Fotos. Sondern nur unterwegs. Die Grundbedingung ist: unterwegs zu sein und ungeschützt. Zuhause ist man zu abgeschirmt.

Das erklärt, wieso viele Ihrer Filme wirken, von „Paris, Texas“ bis „Der Himmel über Berlin“, als hätten Sie diese Welten, die Sie zeigen, während des Drehens mitentdeckt. Die amerikanische Literatur und auch der Film suchen seit Jahrzehnten nach der großen amerikanischen Erzählung, die aber, so scheint’s, aus Amerika gar nicht kommen kann.

So ist es. Diese Werke kamen stets aus dem Ausland. Aber die Amerikaner haben das selbst nicht so gesehen, sondern waren überzeugt davon, dass sie das auch können. Dass sie aus der Retorte einen Film über sich machen können. Das hat kaum funktioniert.

Herr Wenders, was halten Sie denn vom Boom der Streaming-Anbieter wie Netflix und Amazon Studios? Da gehen heute große Filmkünstler hin, beheben 15 Millionen für ihren nächsten Film und man lässt sie einfach werken. Ein Paradies? Oder wo ist der Haken?

Der Haken ist, dass man kein Feedback hat. Du machst einen Film und hast keine Ahnung, wie viele Leute ihn gesehen haben. Man kann nicht mit dem Publikum sprechen. Ein Film beginnt bei mir im Kopf und ist erst fertig, wenn man mit dem Publikum darüber sprechen kann. Bei Netflix kannst du mit keinem der Zuschauer reden.

Außerdem hat dieses Geschäftsmodell nichts mehr mit Kino zu tun, und es hat viele Zwischenschritte und Berufe, die es gab, eliminiert. Hat etwas für sich. Die Studios haben einen riesigen Überbau, und man fragt sich: Wieso braucht man bei einem Film 25 Dramaturgen? Bei Netflix bekommst du Final Cut, wo man bei Studios ungemein dafür kämpfen muss, sogar große Namen wie Scorsese. Netflix sagt sich: Wir wären ja blöde, wenn wir uns da einmischen, wir sparen uns viele Kosten, wenn wir den Apparat, den man zum Einmischen braucht, einfach weglassen. Deshalb machen so viele gute Regisseure mit, und auch bei den Schauspielern ist die Qualität enorm.

Wäre das auch etwas für Sie?

Wer weiß, ich sage nicht nie. Aber ich hänge halt an dem Kontakt zum Zuschauer und dem kollektiven Filmerlebnis auf der Kinoleinwand. Als ich kürzlich mit dem Zug nach Wien kam, sah ich so viele Leute, die sich Filme auf ihren Handys ansahen, und dann denkst du, all die Arbeit, die man sich gemacht hat, damit die Leute das dann am iPhone sehen… Da kann ich das Ganze auch gleich am iPhone drehen. Vielleicht liegt das an meinem Alter, aber ich finde das Kinoerlebnis ganz essenziell.

Wenn man die Spanne zwischen Ihrem Uni-Abschlussfilm „Summer in the City“ und dem letzten Film mit dem Papst ansieht: Wie ist das vom Gefühl her für Sie, zurückzuschauen auf die zwei, drei vielleicht entscheidenden Dinge, die da passiert sind?

Es ist interessanterweise so, dass die Umwege, die einen genervt haben, letztlich schon ihre Richtigkeit hatten. Was man richtig ätzend und schwierig fand, ist im Nachhinein die wichtigste Erfahrung. In meinem Fall die Anfangszeit in den USA, als ich richtig Mühe hatte, den Film „Hammett“ (1982) auf die Beine zu stellen, der letzten Endes auch etwas missraten ist. Aber ohne diesen Widerstand und ohne das Entdecken, dass ich so nicht arbeiten kann, hätte es wohl „Paris, Texas“ oder „Der Himmel über Berlin“ niemals gegeben.

Ich habe damals herausgefunden, dass ich Herr meiner Mittel sein muss, um einen Film zu machen. Ich muss wissen, wie viel Geld da ist. Der Autorenfilmer ist ja der Einzige in der Filmgeschichte, der über alle seine Mittel Bescheid wusste, vom Drehbuch über den Schnitt bis hin zum Budget. Vielleicht kommt der Autorenfilmer wieder zu uns zurück, über Netflix. Aber vielleicht ohne das hohe Ziel der Autoren: das Kino. Gut, das ist vielleicht der Preis, den man zahlen muss, damit das Erzählen weitergeht. Wobei: Das Erzählen geht auf jeden Fall weiter, auch, wenn das Kino sterben sollte. Es ändert sich nur der Ort der Rezeption.

placeholder
Mehr als 80 Sender in HD: Inklusive aller HD Austria Sender sowie mit rund 60 frei empfangbaren HD-Sendern, teilweise mit und ohne Signalschutz über Astra 19,2°E. Frei empfangbare Sender sind gratis und unverschlüsselt auf HD Austria-fähigen Empfangsgeräten empfangbar, aber nicht Teil des HD Austria Pakets, HD Austria Plus Pakets bzw. HD Austria Kombi Pakets. sixx HD, SAT.1 Gold HD, ProSieben MAXX HD Austria, Kabel Eins Doku HD Austria, Sport 1 HD, Insight TV HD, Mezzo HD, Dorcel TV und Dorcel XXX sind mit HD Austria Hardware mit integrierter SAT-Karte empfangbar. Love Nature 4k auf Hotbird 13° und RTL UHD in UHD-Qualität mit HD Austria SAT-Modulen. Internet-Sender sind Sender, die mit HD Austria SAT-Receivern mit Internetanschluss, der HD Austria TV-App für Smart-TV, der mobilen HD Austria TV-App (Erotik-Sender eingeschränkt) und mit dem Streaming-Player via Internet empfangbar sind. Die GIS-Rundfunkgebühren sind zu entrichten. Änderungen, insbesondere Programm- und Preisänderungen, Irrtümer vorbehalten.
Chatbot